Nachhaltigkeit ist das langweiligste Thema der Welt.
Wenn heute von nachhaltigen Städten die Rede ist, geht es oft um Kennzahlen, Zertifikate und Regularien. Gebäude müssen „ESG-konform“ sein, Materialien eine „positive CO₂-Bilanz“ vorweisen, und jede Komponente wird in Ökobilanzen bewertet. Das klingt erstmal gut – aber selten inspirierend. Nachhaltigkeit wird zur Checkliste, zur Pflichtübung. Dabei war die Idee einmal eine andere: Nachhaltigkeit sollte Verantwortung übernehmen, Schönheit und Dauerhaftigkeit schaffen.


Nur wer die Dinge sorgsam gestaltet, sie ästhetisch und funktional wertvoll macht, sorgt dafür, dass sie langfristig bestehen. Und damit für Häuser, die bleiben, und Orte, in denen Menschen sich wirklich zu Hause fühlen. Heute scheint diese Dimension in der Flut aus Taxonomien, Labels und Kompensationsprogrammen zu verschwinden. Sicher, Energieeffizienz und Emissionsreduktion sind unverzichtbar. Doch wenn wir Nachhaltigkeit allein technisch denken, verlieren wir das, was sie lebendig macht: Identität, Authentizität, Charakter. Menschen wollen Häuser, die nicht nur nach Zahlen geplant sind, sondern Lebensräume mit Geschichte und Atmosphäre.
Nur was Wohlbefinden schafft, kann wirklich dauerhaft bestehen. Ein Haus aus Backstein etwa erzählt von Beständigkeit und Herkunft: Werte, die bleiben, wenn Zertifikate veralten. Vielleicht ist Nachhaltigkeit nicht langweilig – sondern nur falsch erzählt.
Die falsche Erzählung der Nachhaltigkeit
Der Begriff der Nachhaltigkeit, schrieb der Philosoph Norbert Bolz bereits 2015, werde „inflationär über alle möglichen Zusammenhänge gestülpt und in den absurdesten Kombinationen benutzt, um zu signalisieren: Ich bin ein guter Mensch.“ Tatsächlich ist Nachhaltigkeit heute weniger ein klar definierter Maßstab als ein moralisches Etikett. Sie steht auf Kaffeebechern, Firmenwebseiten und Bauprojekten und vermittelt oft nur den Anschein von Substanz. Diese Überdehnung hat Folgen: Statt Begeisterung weckt Nachhaltigkeit häufig Skepsis. Zu viele Labels, zu viele Versprechen und zu viele Enttäuschungen.
Besonders sichtbar wird das bei CO₂-Kompensationszertifikaten: Von deren Zertifikaten stufte 2023 ein weltweites Forscherteam 90 Prozent als wertlos ein. „Ich untersuche die Qualität von Emissionsgutschriften seit 20 Jahren, und sie war immer schlecht“, sagt Barbara Haya, Direktorin des Berkeley Carbon Trading Project. Spätestens seit diesen Enthüllungen ist klar: Nachhaltigkeit wird oft versprochen, aber selten eingelöst.
Ganzheitlich denken
Wenn Nachhaltigkeit heute oft langweilig wirkt, dann auch, weil sie auf eine einzige Dimension reduziert wird: CO₂-Bilanzen. Natürlich sind CO₂-Fußabdrücke, Energiekennzahlen und Förderstandards wichtig. Doch ein Gebäude ist mehr als seine Klimabilanz, ein Material mehr als seine Emissionswerte. Nachhaltigkeit bedeutet Verantwortung im umfassenden Sinn und wer sie wirklich ernst meint, muss sie ganzheitlich verstehen – als Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie, Sozialem und Ästhetik. Erst im Zusammenspiel dieser vier Dimensionen entsteht ein wirklich nachhaltiger Ort: einer, der Ressourcen schont, wirtschaftlich Bestand hat, sozialen Zusammenhalt stärkt und zugleich das Auge und die Sinne anspricht. Denn erst dort, wo sich technische Planung auf menschliche Bedürfnisse trifft, entsteht etwas, das bleibt.


Menschen, die handwerklich tätig sind, wissen das oft intuitiv. Wer einen Backstein in der Hand hält, spürt seine Substanz. Seine Qualität liegt nicht nur in Zahlen, sondern in seiner Qualität, seiner Haptik, seiner Dauerhaftigkeit, seiner kulturellen Verankerung. Er erzählt von Handwerk, Herkunft und Beständigkeit – Eigenschaften, die kein Zertifikat ersetzen kann. Häuser aus Backstein stehen über Generationen hinweg. Sie altern würdevoll, entwickeln Patina, erzählen Geschichten. Und nur, was lange besteht, kann wirklich nachhaltig sein. Architektinnen und Architekten gestalten damit nicht nur Gebäude, sondern Orte, an denen Menschen sich zu Hause fühlen. Sie schaffen ästhetische Konzepte für die Zukunft und geben Antworten auf die Frage, wie wir künftig leben wollen.
Gutes aus Mutter Erde
Nachhaltigkeit braucht deshalb nicht nur neue Technologien, sondern auch eine neue Haltung: eine Rückbesinnung auf Materialien, die aus der Erde kommen, sich in die Landschaft einfügen und am Ende wieder in den Kreislauf zurückkehren. Backstein entsteht aus naturreinem Ton – einem Material, das fast überall vorkommt und dessen Abbauflächen nach ihrer Nutzung renaturiert werden. Aus ehemaligen Tongruben entstehen Biotope und Erholungsräume. Man nimmt der Natur etwas und gibt ihr etwas Wertvolleres zurück – ein Gleichgewicht, das dem ursprünglichen Gedanken der Nachhaltigkeit näherkommt als jede Kompensationsformel. Auch im Lokalen zeigt sich die Vernunft: Kurze Transportwege, regionale Rohstoffe, lange Lebenszyklen – Faktoren, die Ressourcen schonen und den ökologischen Fußabdruck tatsächlich verkleinern.


Nachhaltigkeit, die rechnet
Wer über Nachhaltigkeit spricht, sollte auch rechnen können. Die Herstellung eines Backsteins verursacht im Schnitt rund 0,2 bis 0,3 Kilogramm CO₂-Äquivalente pro Kilogramm Material. Stahlbeton verursacht deutlich höhere Emissionen, vor allem durch Zement und Bewehrungsstahl. Naturstein ist zwar emissionsarm in der Rohstoffgewinnung, aber energie- und transportintensiv in der Verarbeitung. Holzbauprodukte können CO₂ speichern, benötigen jedoch oft chemische Behandlungen und haben kürzere Nutzungszyklen, was die Nachhaltigkeitsbilanz relativiert. Entscheidend ist der Lebenszyklus, der in vielen gängigen Ökobilanzen zu kurz berücksichtigt wird. Häuser aus Backstein stehen über Generationen, sind nahezu wartungsfrei und bieten stabile Energieeffizienz über Jahrzehnte. Der einmalige Herstellungsaufwand verteilt sich so auf 150 Jahre oder länger, statt auf die oft angenommene Lebensdauer von 50 Jahren, wodurch der jährliche CO₂-Fußabdruck eines Backsteinhauses dramatisch sinkt und sich mit dem von als klimaneutral geltenden Holzbauten messen lässt.
Auch die Ziegelindustrie selbst hat Fortschritte gemacht. Seit 1990 wurde der Energieverbrauch bei der Herstellung halbiert und die CO₂-Emissionen um rund 40 Prozent reduziert. Effiziente Brennöfen, Materialoptimierungen und kurze Transportwege von im Durchschnitt nur 107 Kilometer vom Werk bis zur Baustelle schonen Ressourcen zusätzlich. Insgesamt trägt die deutsche Ziegelindustrie nur 0,004 Prozent zu den weltweiten Emissionen bei. Das zeigt: Wir können das Klima nicht allein retten, wohl aber ihren Teil dazu beitragen.
Planen für Generationen
In einer Zeit, in der Greenwashing zunehmend entlarvt wird, zählt nicht mehr das Versprechen, sondern der Beweis. Die neue Ehrlichkeit der Nachhaltigkeit wird an der Lebensdauer gemessen – daran, ob Gebäude über Generationen Bestand haben, ökologisch wie kulturell. Dafür braucht es ein neues Selbstverständnis im Planen und Bauen: Stadtplanerinnen, Architekten und Bauherren müssen Ökologie, Ökonomie, Ästhetik und soziale Werte miteinander verweben. Nachhaltigkeit wird dann nicht länger zur Pflichtübung, sondern zur Haltung. Einer Haltung, die spürbar, sichtbar und glaubwürdig ist.
