Nachhaltigkeit ist das langweiligste Thema der Welt.

Wenn heute von nachhaltigen Städten die Rede ist, geht es oft um Kennzahlen, Zertifikate und Regularien. Gebäude müssen „ESG-konform“ sein, Materialien eine „positive CO₂-Bilanz“ vorweisen, und jede Komponente wird in Ökobilanzen bewertet. Das klingt erstmal gut – aber selten inspirierend. Nachhaltigkeit wird zur Checkliste, zur Pflichtübung. Dabei war die Idee einmal eine andere: Nachhaltigkeit sollte Verantwortung übernehmen, Schönheit und Dauerhaftigkeit schaffen. 

Pergolenviertel (BF 5 + 6) | coido | Erich-Mendelsohn-Preis 2023 für Backstein-Architektur

Nur wer die Dinge sorgsam gestaltet, sie ästhetisch und funktional wertvoll macht, sorgt dafür, dass sie langfristig bestehen. Und damit für Häuser, die bleiben, und Orte, in denen Menschen sich wirklich zu Hause fühlen. Heute scheint diese Dimension in der Flut aus Taxonomien, Labels und Kompensationsprogrammen zu verschwinden. Sicher, Energieeffizienz und Emissionsreduktion sind unverzichtbar. Doch wenn wir Nachhaltigkeit allein technisch denken, verlieren wir das, was sie lebendig macht: Identität, Authentizität, Charakter. Menschen wollen Häuser, die nicht nur nach Zahlen geplant sind, sondern Lebensräume mit Geschichte und Atmosphäre.

Nur was Wohlbefinden schafft, kann wirklich dauerhaft bestehen. Ein Haus aus Backstein etwa erzählt von Beständigkeit und Herkunft: Werte, die bleiben, wenn Zertifikate veralten. Vielleicht ist Nachhaltigkeit nicht langweilig – sondern nur falsch erzählt.
 

Die falsche Erzählung der Nachhaltigkeit

Der Begriff der Nachhaltigkeit, schrieb der Philosoph Norbert Bolz bereits 2015, werde „inflationär über alle möglichen Zusammenhänge gestülpt und in den absurdesten Kombinationen benutzt, um zu signalisieren: Ich bin ein guter Mensch.“ Tatsächlich ist Nachhaltigkeit heute weniger ein klar definierter Maßstab als ein moralisches Etikett. Sie steht auf Kaffeebechern, Firmenwebseiten und Bauprojekten und vermittelt oft nur den Anschein von Substanz. Diese Überdehnung hat Folgen: Statt Begeisterung weckt Nachhaltigkeit häufig Skepsis. Zu viele Labels, zu viele Versprechen und zu viele Enttäuschungen. 

Hofensemble in Rot | saboArchitekten | Erich-Mendelsohn-Preis 2023 für Backstein-Architektur

Menschen, die handwerklich tätig sind, wissen das oft intuitiv. Wer einen Backstein in der Hand hält, spürt seine Substanz. Seine Qualität liegt nicht nur in Zahlen, sondern in seiner Qualität, seiner Haptik, seiner Dauerhaftigkeit, seiner kulturellen Verankerung. Er erzählt von Handwerk, Herkunft und Beständigkeit – Eigenschaften, die kein Zertifikat ersetzen kann. Häuser aus Backstein stehen über Generationen hinweg. Sie altern würdevoll, entwickeln Patina, erzählen Geschichten. Und nur, was lange besteht, kann wirklich nachhaltig sein. Architektinnen und Architekten gestalten damit nicht nur Gebäude, sondern Orte, an denen Menschen sich zu Hause fühlen. Sie schaffen ästhetische Konzepte für die Zukunft und geben Antworten auf die Frage, wie wir künftig leben wollen.

Leo Leistikow Quartier | Erich-Mendelsohn-Preis 2023 für Backstein-Architektur

Nachhaltigkeit, die rechnet

Wer über Nachhaltigkeit spricht, sollte auch rechnen können. Die Herstellung eines Backsteins verursacht im Schnitt rund 0,2 bis 0,3 Kilogramm CO₂-Äquivalente pro Kilogramm Material. Stahlbeton verursacht deutlich höhere Emissionen, vor allem durch Zement und Bewehrungsstahl. Naturstein ist zwar emissionsarm in der Rohstoffgewinnung, aber energie- und transportintensiv in der Verarbeitung. Holzbauprodukte können CO₂ speichern, benötigen jedoch oft chemische Behandlungen und haben kürzere Nutzungszyklen, was die Nachhaltigkeitsbilanz relativiert. Entscheidend ist der Lebenszyklus, der in vielen gängigen Ökobilanzen zu kurz berücksichtigt wird. Häuser aus Backstein stehen über Generationen, sind nahezu wartungsfrei und bieten stabile Energieeffizienz über Jahrzehnte. Der einmalige Herstellungsaufwand verteilt sich so auf 150 Jahre oder länger, statt auf die oft angenommene Lebensdauer von 50 Jahren, wodurch der jährliche CO₂-Fußabdruck eines Backsteinhauses dramatisch sinkt und sich mit dem von als klimaneutral geltenden Holzbauten messen lässt.

Stadthaus Fischstraße 16 | Anne Hangebruch und Mark Ammann Architekten GmbH | Erich-Mendelsohn-Preis 2023 für Backstein-Architektur
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