Weiterbau des städtischen Erbes

Die beiden katalanischen Architekturbüros Barozzi Veiga und HARQUITECTES haben beim Fritz-Höger-Preis 2020 hoch gepunktet. Ersteres realisierte in Lausanne auf einem ehemaligen Bahnareal einen wichtigen Baustein für ein neues Kunstquartier, das Musée cantonal des Beaux-Arts, letzteres in Barcelona mit den Restbeständen einer ehemaligen Glasfabrik das Civic Centre 1015, eine Schule für Erwachsenenbildung. Wir haben mit Fabrizio Barozzi und Josep Ricart Ulldemolins über ausufernde Großprojekte und knifflige Grundstücke gesprochen.

v.l.n.r. Fabrizio Barozzi, Alberto Veiga, David Lorente Ibanez, Josep Ricart Ulldemolins, Xavier Ros Majo und Roger Tudo Gali.

Wie ist es – unabhängig vom Denkmalschutz – um die Freiheit der Architekten bestellt, öffentlichen Raum zu gestalten?

JRU: In Spanien, speziell in Katalonien, sind die Normen für den öffentlichen Raum sehr streng. Aber das heißt nicht unbedingt, dass das Endergebnis dem öffentlichen Raum eine höhere Attraktivität verschafft. Es gibt die Redewendung „Ser más papista que el pápa“ (dt. „Päpstlicher sein als der Papst“). Wir sind eine junge Demokratie – sehr jung, wenn es darum geht, als Gesellschaft beispielsweise für die Rechte behinderter Menschen oder generell Bürgerrechte einzutreten. Also über- treiben wir es vielleicht noch ein wenig mit Regularien. Ich bin grundsätzlich einverstanden damit, aber die, die sie aufstellen, unterstützen nicht ihre kreative Interpretation. Wir haben auch viel Freiheit, kleine und mittelgroße Projekte auf einem hohen handwerklichen Niveau durchzuführen. Das ist für uns sehr wichtig, denn es ist Teil unseres Verständnisses von Architektur, die ja den Freiraum immer mitbestimmt. Wir möchten Komfort herstellen und gleichzeitig ein sinnliches Erlebnis schaffen.

FB: Wir versuchen immer, die Geschichte, die ein Ort erzählt, fortzuführen, indem wir unsere Gebäu- de als neue Schicht, als gegenwärtige Transformation etwas Existierendem hinzufügen. Bei vielen Projekten möchten wir historische oder umgebungstypische Merkmale erhalten. Wir versuchen, neue Möglichkeiten für den Ort zu finden, ohne ihm Beschränkungen aufzuerlegen. Es geht darum, eine gewisse Freiheit innerhalb einer vorgegebenen Situation zu finden.

Civic Center 1015 | Harquitectes | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020

Nun konkreter zu Ihren Gebäuden: Beide Häuser beziehungsweise das, was von ihnen übrig war, zeigen industriellen Charakter, beide antworten auf eine sich verändernde Nachbarschaft oder tragen zu diesem Wandel bei. Hat Sie das beeinflusst, mit Backstein zu bauen?

JRU: Wir haben viele Gebäude im Kontext bestehender Konstruktionen gebaut. Unabhängig davon, ob dieses Erbe kulturell anerkannt ist oder nicht, geschieht unsere erste Annäherung immer über die Merkmale, die noch da sind. Vor der kulturellen Auseinandersetzung mit dem Civic Centre war unsere erste Frage, ob die übriggebliebenen Wände noch bautechnisch und thermisch funktionieren. Backstein ist dafür ein günstiges, einfaches, lokales Produkt und der einfachste Weg, eine tragende Wand zu bauen. Er ist außerdem schön. Deshalb arbeiten wir mit Backstein.

FB: In Lausanne war klar, dass es um eine städtische Transformation ging; wir wurden beauftragt, einen neuen Kulturstandort zu bauen. Wir haben versucht, den industriellen Charakter und die Geschichte des Ortes zu erhalten. Dazu gehörte auch die Wahl des Materials, um mit dem Backstein eine Beziehung zum Vorhandenen herzustellen.


In beiden Fällen mussten Sie mit sehr ungewöhnlich geschnittenen Grundstücken umgehen. In Lausanne ist es extrem lang und schmal, in Barcelona dreieckig. War das eher ein Hindernis oder im Gegenteil Inspiration für innovative Ideen?

FB: Unserer Erfahrung nach gibt es das ideale Grundstück nicht. Jedes Gebiet hat einen anderen Aufbau, eigene Merkmale und Einschränkungen. Wir gehen von diesen Konditionen aus, interpretieren den Ort und arbeiten an einer neuen Erzählebene. All diese Orte verpflichten einen zu bestimmten Handlungsweisen, und unser Job ist, innovative Strategien für ihre Nutzung zu entwickeln.

JRU: Da stimme ich zu. Architektur beginnt immer mit etwas bereits Existierendem. Auch ein Backstein ist etwas, was bereits da ist. Es wäre also unfair, sich über ein schwieriges Grundstück oder ein kleines Budget zu beschweren. Im Wettbewerb zum Civic Centre gab es nur zwei Bedingungen: Wir sollten die historischen Fassaden respektieren und diese bizarre Grundstücksform beibehalten. Es war schwierig, das erforderliche Raumprogramm in dieser Geometrie unterzubringen. Wir haben uns entschieden, die Schwierigkeiten als Vorteil zu sehen. Ich glaube, das Ende der Geschichte ist gelungen.

Couldrey House | Peter Besley | Einreichung im Rahmen des Fritz-Höger-Preises 2020

Kommen wir abschließend noch einmal auf die europäische Stadt zurück. Was wünschen Sie sich für sie?

FB: Wir finden, dass das Modell europäische Stadt ziemlich gut funktioniert. Sie garantiert eine gewisse Lebensqualität und überhaupt Lebendigkeit, auch wegen der Ausgewogenheit von öffentlichem Raum und Gebautem, menschlichen Begegnungen usw. Deshalb halten wir es für wichtig, dieses Modell zu erhalten und es immer noch nachhaltiger zu machen. Nicht nur energetisch, sondern auch ganzheitlich betrachtet.

JRU: In den 1990er-Jahren galt der Sprawl (dt. Zersiedelung) mit seinen Problemen als Feind. Jetzt müssen wir nochmal über das Klima reden. Ich denke, dass die Zukunft der mediterranen Städte ein wenig Sprawl braucht. Zu enge Städte werden schlicht zu heiß. In Barcelona gehen die Temperaturen im Sommer nicht mehr unter 20 Grad. Das ist neu. Wir brauchen also weniger Dichte, mehr Durchlässigkeit für Regen und weniger Versiegelung. Barcelona und andere mediterrane Städte sind absolut undurchlässig für Regen. Wir brauchen „weichere“ Städte, um das Wasser für die Begrünung und auch als Energielieferant sinnvoll zu nutzen. Vielleicht ist es in den Städten im Norden umgekehrt?