Hochzeitsturm Plüderhausen
Uwe Schröder
EIN ORT FÜR DEN BRAUCH
HOCHZEITSTURM PLÜDERHAUSEN
Auf einer der für das Remstal typischen Streuobstwiesen steht über der Ortschaft Plüderhausen der „Hochzeitsturm“. Der Architekt hat einen lokalen Ritus zum Ausgangspunkt seines Entwurfs gemacht: In Plüderhausen ist es seit einer Reihe von Jahren wieder wie zu Zeiten der Landesmeliorisation im 18. Jahrhundert üblich, dass Paare nach der Eheschließung einen Obstbaum auf einer „Hochzeitswiese“ pflanzen. Dieser Sitte wurde mit dem Turmbau ein einprägsamer architektonischer Rahmen gegeben: Die Außenhülle des Turms aus weiß engobiertem Ziegel kontrastiert mit rotem, brandbelassenen Backstein in dem über zwei Stufen durch zwei schlanke Spitzbögen betretbaren Innern des Bauwerks. Der leicht an Schinkels gotische Entwürfe erinnernde Bau ist mit einem Satteldach aus Holzschindeln bedeckt, wie es sich in der Region insbesondere als Wetterschutz an den Außenwänden der Häuser findet. Der kleine Innenraum auf quadratischer Grundfläche öffnet sich mit zwei fensterartigen Öffnungen zu den Seiten und mit einem hohen Spitzbogen ins Tal.
Mit Gestalt und Ausstattung des Turms hat Schröder den ländlichen Brauch um weitere Elemente erweitert: Die frisch verheirateten Paare betreten nebeneinander durch die Bögen den Turm, können eine Glücksmünze durch einen messinggefassten Schlitz im Turmboden werfen, suchen dann mit Blick auf Ort und Tal einen Platz für den zu pflanzenden Baum, ergreifen schließlich jeweils einen an zwei seitlich angebrachten Ringen befestigten Spaten und schreiten dann gemeinsam durch den großen Spitzbogen den Hang hinab zum ausgewählten Pflanzort. Diesem alt-neuen Brauch hat der Architekt einen romantischen Ort gegeben, der Tradition und Zukunftsgewandtheit mit einem räumlich-rituellen Erlebnis verbindet – eine besonders gelungene und hintergründige Form des Kontextbezugs, die sich bei den „16 Stationen“ im Remstal findet. Das identitätsfördernde Potential des Hochzeitsturms durch seine Bezüge zu Geschichte, Topographie und zu den Menschen hat auch die Gemeinde Plüderhausen erkannt – sie bietet inzwischen vor dem Turm standesamtliche Eheschließungen an.
Andreas Denk